Archive for Juni, 2007

24h Rennen 2007 im Cockpit

Dienstag, Juni 12th, 2007

Es ist Nacht, es ist sauneblig und die 132 ist ab jetzt meine Lieblingszahl. Die „132“ klebt am Heck eines VW Golf und ist das einzige, worauf ich mich noch konzentriere. Es ist Nacht, es ist neblig, das hier ist das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring und 1000 Runden Erfahrung auf der Nordschleife sind plötzlich zu wenig, die unzähligen Kurven noch im Renntempo zu schaffen. Die Sicht reicht so gerade bis zur weissen Linie der Asphaltbegrenzung und zu den roten-weißen Kurbs. Aha, Kurve, Einlenken — die Taktik des Angsthasen. 21, 22, 23, Einlenken, so machen es die Schmerzfreien, die „so nach Gefühl“ hinter den Rücklichtern des Vordermannes her in die nächste weiße Wand hineinjagen. Im Bummeltempo hinter der „132“, einem VW Golf 3 Kit Car, mit dem vier Fahrer aus Süddeutschland unterwegs sind, bleibt Zeit zum Philosphieren: Sind die alle cool oder haben sie einfach nicht mehr alle beisammen?

Jeder muss selbst wissen, was er tut. Ich lass sie fahren, ich halt mich aus allem raus. Hauptsache, unser Seat Leon Supercopa mit der Startnummer 100 bleibt heil. Schäden an der Karosse zahlt immer der, der beim Crash drin sitzt, auch wenn einem einer in die Karre fährt. Mal abgesehen von der Peinlichkeit, die Box mit der Meldung anzufunken, „Äh, tut mir leid, ich bin abgeflogen“. Passiert nicht, ich quatsche „Tut mir leid, dass ich so langsam fahre“ ins Mikro. Das ist mir auch peinlich.

„Nicht angepasste Geschwindigkeit“ kostet etliche Konkurrenten zur gleichen Zeit entweder das Rennen oder zumindest eine gute Platzierung. Ein BMW, der vorbeirast, als ginge es schnurgeradeaus, knallt in der nächsten scharfen Kurve frontal in die Leitplanke, wenige Kilometer verkeilen sich ein weiterer BMW und ein Ford. So geht es Runde um Runde, bis die Rennleitung um 3.54 Uhr die „Nacht-und-Nebel-Aktion“ stoppt. Endlich! Wenn einer wie Hans-Joachim Stuck findet, das Rennen sei mindestens eine Stunde zu spät abgebrochen worden, dann darf man auf diese Meinung schon was geben. Ein Fahrer, der seine Chance gewittert hat, um einen Rückstand aufzuholen, den er sich mit einer Reparaturpause eingehandelt hat, sieht das völlig anders.

Der Seat Leon Supercopa hat bis dahin lediglich ein Stück vom hinteren Stoßfänger eingebüßt. Gleich am Anfang hat sich ein Audi im Nassen verbremst; unser Startfahrer Thomas Koll aus Bad Münstereifel, der vor zwei Jahren auf einem Porsche Gesamtfünfter des 24h-Rennens geworden ist, drehte sich daraufhin leicht in die Leitplanke. Danach lief alles planmäßig.
Die Rennunterbrechung nutzen deshalb alle im Team, um sich auszuruhen. Die Loge des Meckenheimer Autohauses Kempen über der Boxengasse des Nürburgrings, in der tagsüber bis zu 150 Gäste das Rennen mitverfolgen, wird zum Schlaflager. Für die Fahrer stehen Liegen bereit, die Mechaniker vom Zingsheimer Team ProSport nicken an den Tischen ein. Thomas Kolls Vater Erich passt auf, dass wir den Restart nicht verpennen.

Um neun Uhr morgens dann das Kommando „Achtung Fahrerlager, Achtung Boxen, wir beginnen in Kürze wieder mit der Startaufstellung.“ Der Seat steht jetzt auf Platz 77, den zweiten Start fährt der vierte Fahrer, Timo Frings, und übergibt nach sehr guten Rundenzeiten an Ralph Kempen. Der Meckenheimer ist ein Glückspliz. Nachts hätte er um ein Haar auch im Nebel fahren müssen, jetzt hat er seine Runden abgespult, bevor heftiger Regen einsetzt. Die gefährliche Schlidderpartie hab erneut ich an der Backe. Wieder heißt es, extrem vorsichtig zu fahren; die Rundenzeiten sind Nebensache. Spaß macht das nicht, aber der Seat bleibt immerhin heil, acht Runden lang, 200 Kilometer, während links und rechts der Strecke teure Schrotthaufen stehen. Tut mir doch nicht leid, dass ich mit mehr Köpfchen fahre.

So kann Ralph unsere 91. und letzte Runde fahren, die „Tour d‘Honneur“ entlang der jubelnden Fans. Das hatte er sich gewünscht, „falls wir soweit kommen“. Um kurz nach fünf Uhr, nach 18 Stunden Gesamt-Fahrzeit, reckt er auf der Zielgeraden die geballte Faust in die Luft, Fahrer, Mechaniker und Helfer fallen einander an der Box in die Arme: 3. Platz in der Klasse und 52. von 220 im Gesamtklassement, das hatte niemand im Team für möglich gehalten. Die Klassenkonkurrenz war dabei zum Teil mit 200 PS mehr und – im Falle von VW – mit Werksunterstützung unterwegs. Stolz wie Oskar nehmen wir abends im ADAC Race Club von 24h-Organisationsleiter Peter Geishecker, Rennleiter Hans Schnock und Jürgen Sarner, Leiter der Sportabteilung des ADAC Nordrhein, unsere Glaspokale in Empfang.

Und die Startnummer 132? Ist leider doch noch ausgefallen, eineinhalb Stunden vor Schluss. Ich werde diese Nummer nie mehr vergessen.

Dienstag, Juni 12th, 2007